Ein kleiner Diskurs durch meine Wahrnehmung:
In früheren Jahren war er, der Tod, erschreckend, das Ende aller Tage, das Ende allen Lebens, aller Gefühle. Und vor allem: Er war meist weit weg. Im Laufe der Zeit änderte sich das, man sah ihn häufiger und je häufiger man ihn sah, desto facettenreicher wurde er; von unbarmherziger Langsamkeit bis hin zur gnädigen und doch überraschenden Schnelligkeit hat er viele Spielarten. Aber eines ist doch gewiss: Er ist unausweichlich, gehört zum Leben wie die Geburt oder die Liebe. Und immer häufiger erlebt man ihn dann auch als barmherzigen Erlöser, als der, der einen lieben Menschen vor weiteren, endlosen Qualen bewahrt. Das Bild wandelt sich, Fragen nach einen ‚Warum‘ oder ‚Wieso jetzt‘ perlen an ihm ab, er zieht weiter seine Runden, ohne Unterlass. Wir Menschen haben uns Wege erdacht, Sterbende aus seinen Händen zu reißen und zurück zu uns Lebenden zu holen, doch häufig bleiben diese bis zu seinem nächsten Besuch von dieser Zerreißprobe gezeichnet. Man sollte ihm nicht widersprechen, er kann Spuren in uns hinterlassen, die keine Liebe zu heilen vermag. Wenn er ruft, sollte man den Gerufenen gehen lassen und ihm das Gehen so einfach wie möglich machen. Er versteht keinen Spaß, er holt sich, den Menschen, den er auserkoren hat, ob dieser will oder nicht. Der Tod ist unbestechlich, lässt nicht mit sich handeln und kennt nur eine Währung, die Erinnerung, die Spuren, die ein Mensch hinterlässt.
Wir Menschen tendieren ihn zu verdrängen, zu vergessen, erinnert er uns doch ständig daran, dass alles vergänglich ist. Er wird auch oft mißverstanden, seine bloße Existenz soll Antrieb für uns sein, nicht Hindernis. Das hieraus enstandene „Lebe jeden Tag, als wäre es Dein letzter“ ist kein Freibrief für Faulheit und Trägheit, nein, es ist Aufforderung an jedem Tag dafür zur sorgen, dass man mit sich und der Welt im Reinen ist und man jederzeit bedenkenlos von ihm abgeholt werden kann. Und die uns noch verbleibende Zeit müssen wir nutzen um uns und unsere Taten in den Köpfen anderer unvergessen als gute Erinnerungen zu hinterlassen, eben Spuren zu hinterlassen.
Er ist auch nicht das Ende allen Lebens, aller Gefühle. Er ist Endpunkt eines Abschnittes und Ausgangspunkt eines neuen. Mit ihm verschwinden Gegebenheiten, mit ihm kommen neue zum Vorschein. Wir können mit ihm hadern, doch verstellen wir uns selbst mit diesem Hadern manchmal auch die Sicht auf Neues. Da wir weder über das Wissen noch das Vermögen verfügen seine Entscheidungen zu beeinflussen, müssen wir uns mit ihnen arrangieren und jeden Tag daran arbeiten, dass man uns, sollte er uns spontan abholen, in guter, dauerhafter Erinnerung hat. Er ist die wahre Kausalität des „carpe diem“. Auf einmal hat er ein gänzlich anderes Gesicht als zu Anfang. Ich merke, er gehört dazu und er verdient respektiert zu werden.